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Einleitung

1990 beendete ich meine Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen, Lehrstuhl für Mechanik Prof. Heinz sowie Lehr und Forschungsgebiet für Mechanik Prof. Ballmann. Meine Dissertation hatte das Thema "Ein Charakteristiken-Algorithmus zur Berechnung der instationären Transversalschwingungen von Hubschrauberrotorblättern oder anderer quasi-eindimensionaler elastischer Strukturen". Danach übernahm ich ein Ingenieurbüro für Baustatik und gründete hieraus die Gesellschaft für Ingenieurbau Müller & Partner mbH.

Am Lehrstuhl für Mechanik sowie am Lehr- und Forschungsgebiet für Mechanik der RWTH Aachen sind unter anderem Fragen zur numerischen Lösungen der Grundgleichungen der Kontinuumsmechanik von besonderem Interesse. Neben der Behandlung der Bewegungsgleichungen der Strömungsmechanik werden auch Spannungswellen in elastischen Festkörpern untersucht. Die Wellenvorgänge werden mit numerischen Lösungsverfahren simuliert, die auf der Charakteristikentheorie basieren.

In meiner Dissertationsarbeit wird ein numerisches Berechnungsverfahren zur Simulation der Ausbreitung von Verformungen und Spannungen in quasi-eindimensionalen elastischen Strukturen behandelt. Die betrachteten Strukturen können einfache Balken, Tragflügel großer Steckung oder andere im wesentlichen eindimensionale technische Verbundstrukturen mit veränderlichem Querschnitt sein (Timoshenko-Balken). Die Bewegung des Balkens wird durch ein System aus 12 linearen partiellen, hyperbolischen Differentialgleichungen in Zeitrichtung und einer Raumrichtung beschrieben. Zur Lösung dieser Gleichungen wurde eine Methode zur Gewinnung von Charakteristiken-Differentialschemata in Matrixform vorgestellt, die es ermöglicht, mit vergleichsweise vertretbarem Aufwand die Implementierung des entsprechenden Rechenprogramms vorzunehmen. Die Berechnung erfolgt dabei für alle unterschiedlichen Wellengeschwindigkeiten auf den jeweils zugeordneten Charakteristikennetzen. Auf diese Weise gelingt es unerwünschte numerische Dissipations- und Dispersionseffekte nahezu vollständig zu vermeiden, weil die CFL-Zahl für alle Rechengrößen gleich Eins wird. Räumliche Interpolationen, die falsche Phasengeschwindigkeiten vortäuschen, werden dadurch vermieden. Als technisches Anwendungsgebiet wurde unter anderem ein magnetoelastisches Problem aus der Magnetschwebetechnik betrachtet. In den folgenden Jahren, ab 1990, wurde das Rechenprogramm daher zur numerischen Simulation und Berechnung der Aufhängebolzen der deutschen Transrapit-Magnetschwebebahn erfolgreich eingesetzt.

Daneben befassten sich einige meiner Kollegen am Lehrstuhl für Mechanik sowie am Lehr- und Forschungsgebiet für Mechanik auf Anregung von Herrn Prof. Ballmann auch mit Spannungswellen in Scheiben, Platten und rotationssymmetrischen Drehkörpern. Die Bewegungen dieser quasi-zweidimensionaler Körper werden durch Systeme aus partiellen, hyperbolischen Differentialgleichungen in Zeitrichtung und zwei Raumrichtung beschrieben. Bei den Lösungen dieser Systeme mit Hilfe der Charakteristikentheorie treten, im Unterschied zu Systemen mit einer Raumrichtung, in den Charakteristiken-Differentialschemata sogenannte Querableitungen auf, zu deren Behandlung besondere numerische Techniken erforderlich sind (Bicharakteristikenverfahren). Hierzu sind bei expliziten Schemata 2. Ordnung in Raum-Zeitrichtung die unbekannten Querableitungen im Neupunkt vorab aus den Gleichungen zu eliminieren. Dies gelingt durch Bildung von für das jeweilig betrachtete System geeigneter Linearkombinationen der auftretenden Differenzengleichungen. Die Querableitungen und die Funktionswerte der Anfangswertfläche werden durch Auswerten eines Regressionspolynoms zweiten Grades approximiert. Die Koeffizienten des Polynoms in den zwei Raumrichtungen werden für jede unbekannte Feldgröße in jedem Gitterpunkt mit dem Verfahren des kleinsten Fehlerquadrates ermittelt.  Eine andere auch verwendete Möglichkeit zur Behandlung der Querableitungen besteht darin, den Zeitschritt ausgehend von den Anfangswerten bis zur Lösung in den Neupunkten entsprechend der Anzahl der auftretenden Raumrichtungen aufzuteilen und für jeden Teilzeitschritt lediglich die entsprechenden eindimensionalen Charakteristiken zu bilden, wobei die  hierfür auftretenden Querableitungen bei einem Schema 1. Ordnung in Raum-Zeitrichtung nur aus der Anfangswertfläche des betrachteten Teilzeitschrittes zu bestimmen sind ("Dimensional-Splitting", "Method of Fractional Steps"). Um hieraus ein Schema 2. Ordnung in Zeitrichtung zu konstruieren sind weitergehende Ansätze erforderlich.

Mit den bisher gewonnenen Lösungsschemata für hyperbolische Systeme, die auf der Charakteristikentheorie basieren, werden im Vergleich zu anderen Lösungsmethoden hervorragende Ergebnisse erzielt, da die Charakteristikenmethode dem Wellencharakter des physikalischen Problems am besten angepasst ist.  Durch die oben beschriebenen Probleme, die durch das Auftreten der Querableitungen bei mehrdimensionalen Systemen entstehen, ist die Implementierung eines entsprechenden Lösungsschemas in einem Rechenprogramm relativ aufwendig und zeitraubend. In meiner Dissertationsarbeit für quasi-eindimensionale hyperbolische Systeme wurde ein Lösungsschema entwickelt, das konsequent in Matrixform formuliert ist und alleine hierdurch schon für eine Implementation in einem Rechenprogramm  besonders gut geeignet ist. Daher stellte sich die Frage, ob ein einsprechender Lösungsalgorithmus in Matrixform auch für mehrdimensionale Systeme möglich ist, der auch noch andere Vorteile des eindimensionalen Charakteristikenschematas, wie z.B. CFL-Zahlen von Eins zur Vermeidung von unerwünschten numerischen Dissipations- und Dispersionseffekten, übernehmen könnte. Diese Frage kann jetzt positiv beantwortet werden.

Durch die Anwendung eines allgemeinen Eliminationsverfahrens für die unbekannten Querableitungen im Neupunkt wurde ein Bicharakteristiken-Algorithmus (Bison: Bicharacteristic Solid Numeric) entwickelt, der alle wünschenswerten Vorteile des eindimensionalen Schemas auch für mehrdimensionale Systeme beinhaltet. Die Vorteile sind u.a.: Ein geschlossener expliziter Algorithmus in Matrixform für beliebige hyperbolische Systeme;  Schema 2. Ordnung in Raum-Zeitrichtung; Höchste CFL-Zahlen gleich Eins oder nahe bei Eins für alle Wellenarten bei Verwendung von den unterschiedlichen Wellengeschwindigkeiten zugeordneten Bicharakteristikennetzen; Stabiles und konvergentes Verfahren für große Anzahl von Zeitschritten; Verzicht auf ein Regressionspolynom der Anfangswertfläche; Kein "Dimensional-Splitting" erforderlich; Möglichkeit der relativ einfachen und allgemeinen Implementation des Schemas in ein Rechenprogramm; Besondere Gitterpunkte mit speziellen Schemata am Rand, an einer Ecke oder an einer Rissspitze sind ebenfalls relativ einfach zu entwickeln und zu implementieren; Rechenprogramm mit relativ kurzen Rechenzeiten; Implementation auf Parallelrechnern ohne Probleme möglich.

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